Vom Youtube-Video zum Streckenrekord
Zwischen Wohlen und Muri im Kanton Aargau, eingebettet zwischen Feldern und Wiesen findet sich seit vielen Jahrzehnten eine Kartbahn. Die einzige weit und breit. Schon manch ein gestandener Rennfahrer hat dort in jungen Jahren seine ersten Runden gedreht. Auch Thomas Amweg. «Am Mittwochabend so ab 18 Uhr, nach der Schule, sind wir hin und wieder hingefahren. Für die Kart-Meisterschaft fehlte hingegen Zeit. Das waren meine Anfänge», erinnert sich der mittlerweile 36-jährige Amweg, der ganz in der Nähe der Kartbahn aufgewachsen ist. Lehrmeister war damals bereits sein Vater, Bergkönig Fredy Amweg.
Mittlerweile ist Thomas selbst erfolgreicher Rennfahrer, hat den Go-Kart längst gegen Formel-Rennautos getauscht. In Arosa gewann er bei jeder seiner fünf Teilnahmen. 2016 stellte er einen Streckenrekord auf. 2019 verbesserte er seine Bestmarke – in 4.06,16 Minuten von Langwies nach Arosa. Auch dieses Jahr fährt Amweg im Formel-2-Rennwagen von Martini und hofft, «zum ersten Mal unter vier Minuten über die Ziellinie zu fahren. Da muss dann aber schon alles so richtig rund laufen, damit das funktioniert», ist Amweg realistisch.«Dafür sind wir sehr dankbar», sagt Thomas Amweg.
Von Langwies nach Arosa sind es 7.3 Kilometer, 76 Kurven und knapp 400 Höhenmeter. «Besonders dabei ist, dass es nicht etwa permanent den Berg hinauf geht. Die Strecke führt immer mal wieder etwas Berg ab. Das kennt man so von Bergrennen nicht. Da die Strecke so lange und abwechslungsreich ist, hast du hier in Arosa auch die Chance, Fehler, die du vielleicht zu Beginn gemacht hast, später zu korrigieren», erzählt Amweg. Bevor er in Arosa auch nur einen Meter gefahren ist, hat er sich die ganze Strecke Kurve für Kurve eingeprägt – dank Onboard-Videos anderer Rennfahrer auf YouTube. Dann ist er erst mal im Alltagsauto nach Arosa hinaufgefahren. Und erst dann nahm er die Strecke in einem Rennwagen in Angriff. «Wenns dann richtig losgeht, ist das nochmals was ganz anderes – es ist alles viel schneller. Ich kenne Bergrennen schon lange. Aber hier in Arosa war anfänglich der Horror – in jeder Kurve hats Felsen rundherum. Und ich kannte das Auto zu Beginn nicht, weil die erste Teilnahme sehr kurzfristig zustande kam», erinnert sich Amweg. Im Jahre 2016 startete er bei seiner Premiere in Arosa auf einem Formel 2 Ralt RT1 aus dem Jahre 1978, eigentlich ein Rundstreckenauto. Die Idee war, im Martini Formel 2 zu fahren. Doch die Homologation – die offizielle Rennzulassung – von Seiten Fédération International Automobile (FIA) in Paris zog sich über zwei Jahre hin. So startete Amweg eben spontan im Ralt und gewann dennoch – und das mit Streckenrekord.
Seit 2017 braust Amweg mit dem Formel 2 Martini bis zu 200 km/h schnell an der Arosa ClassicCar über die Strecke. Dem Auto, mit dem auch sein Vater jahrelang erfolgreich unterwegs war. «Das perfekte Auto für Arosa», weiss Vater Fredy Amweg, «es ist wendig, leicht, übersichtlich.» Der Martini hat seinen Namen vom französischen Konstrukteur Automobiles Martini. Das Unternehmen produzierte seit den 1960er-Jahren für verschiedenste Rennklassen Kundenfahrzeuge. Auch den Formel-2-Wagen, den die Amwegs seit vielen Jahren bewegen dürfen. Er ist nur 470 Kilogramm schwer. Unter der Haube arbeitet ein gut 300 PS starker BMW-Motor mit 2 Litern Hubraum, für den richtigen Antrieb sorgt ein 5-Gang-Getriebe – die perfekte Power für die Arosa ClassicCar. «Es ist ein schönes Gefühl in diesem Rennauto zu sitzen, das mein Vater zuvor bewegt hatte.» Und es ist für den Aargauer ein ganz anderes Gefühl, als der Formel-3000-Rennwagen, den er üblicherweise während der Rennsaison bewegt. «Der Martini ist ein Oldtimer, ohne Hightech und Elektronik. Ein Auto, das lebt und das du spürst. Es ist älter, weicher, authentischer als die modernen Rennwagen und dadurch auchemotionaler», so Amweg. «Auf einer Rennstrecke wie Arosa,wo es eng und spitz zu und her geht, musst du auf einem Formel 2 Martini ständig kuppeln und schalten. Und auchdie Tacho-Instrumente sind anders. Während des Fahrens muss ich neben der Strecke beispielsweise immer auch die Öl- und Wassertemperatur im Auge behalten».
Amwegs grosses Idol ist Fernando Alonso – ein Alleskönner: zweifacher Formel-1-Weltmeister, Rallye-Dakar- und Indy-500-Teilnehmer. Wo in der Formel 1 vielleicht 60% das Auto ausmacht und 40% der Fahrer, ist das bei den Bergrennen mit einem Formel 3000 etwas anders. «Bei uns am Berg ist das fahrerische Können wichtiger. Der Aufwand für eine Saison ist dennoch riesig», sagt Thomas Amweg. Vater Fredy hat das fahrerische Können am Berg perfektioniert, in seiner Karriere «über 500 Rennen gefahren – und die Hälfte davon gewonnen», sagt er stolz. 20-mal triumphierte er am Gurnigel, dem Berner Rennklassiker. Dass Thomas 2019 auf dieser Strecke in einem Formel-3000-Auto – einst von Juan-Pablo Montoya und Mark Weber gefahren – für einen weiteren Amweg-Sieg sorgte, «ist jener Erfolg von Thomas, der mich am meisten freut», so Vater Fredy. Vom Vater hat Thomas nicht nur das fahrerische Talent für die Rennstrecke geerbt, seit 2016 führt der gelernte Maschinenmechaniker auch das gemeinsame Unternehmen weiter – Vater Fredy arbeitet noch immer in der Werkstatt mit. Die beiden haben sich auf die Fertigung von mechanischen Teilen wie Verzahnungen für Getriebe spezialisiert. Hin und wieder verlangt ein gewöhnlicher Personenwagen eine Komponente aus dem Hause Amweg, damit der Motor wieder rattert und knattert, wie er sollte. Hauptsächlich gehen die beiden Amwegs aber auch beruflich ihrer grössten Leidenschaft nach: den Rennautos.
Die familiäre Arosa ClassicCar ist ein Highlight im Rennkalender der Amwegs und eine willkommene Abwechslung zum Rennalltag. Um die 15 Rennen fährt Thomas Amweg in einer Saison. Seine ersten Kurven in einem Formel-Fahrzeug drehte er in Hockenheim, damals in einem Formel-Renaud. Später wechselte er in die Formel 3, fuhr einst einen Ex Rennwagen von Sebastian Vettel, dem vierfachen Formel-1-Weltmeister. Auch der Schweizer Sebastian Buemi fuhr später mit diesem Auto. Einen Meistertitel würde auch Amweg gerne mal feiern. «Mein Ziel ist es, wieder um den Schweizer Meisterschaftstitel mitfahren zu können», so Amweg.
Dazu braucht er ein Auto, das konkurrenzfähig und somit technisch auf dem neusten Stand ist. Und er braucht ein Team im Hintergrund, auf das er sich verlassen kann. Sein Formel-3000-Rennwagen mag nicht mehr der allerneuste sein, «da haben wir 20, 30 Kilo zu viel Gewicht. Wenn es um Zehntelsekunden geht, dann macht das einen grossen Unterschied aus.» Was das Team angeht, das ist Amweg aber noch immer ganz vorne dabei: «Ich habe super Unterstützung. Mal ist es trocken auf der Strecke, mal nass. Ein Mechaniker, der das Setting des Autos entsprechend dem Feedback des Fahrers perfekt einstellen kann, ist Gold wert.» Thomas Amwegs «Goldjungs» heissen seit vielen Jahren Hans Peter und «Wisu». Wenige Wochen vor der 17. Arosa ClassicCar steht der Martini in dessen Garage, erhält den technischen Feinschliff, um bereit zu sein, für die lange und einzigartige Bergstrecke. «Ich muss dann nur noch ins Auto sitzen, mich angurten und fahren – die schnelle Fahrzeit liegt dann an mir», lächelt Thomas Amweg. Und im Idealfall dabei einen weiteren Streckenrekord aufstellen – vielleicht diesmal sogar in einer Zeit unter vier Minuten.