Der Ferrari, der seiner Zeit voraus war
Rot, schnell, einzigartig – Ferrari. Die italienische Traditionsmarke begeistert seit eh und je: vom ersten Le Mans-Sieg 1949 über die langersehnten Formel-1-Erfolge von Michael Schumacher zu Beginn der 2000er-Jahre bis hin zu den legendären Serienfahrzeugen, wie der Testarossa von 1984. Oder der F40, der letzte Ferrari, bei dem Gründer Enzo Ferrari mitwirkte. Die Marke Ferrari ist 76 Jahre alt. Und abertausende Geschichten spannend. Manche dieser Geschichten handeln von Autos, die so rar sind, dass man sie kaum zu sehen kriegt.
Der Ferrari 250 GT Drogo ist eines dieser Modelle. Genauso wie alle 250er-Modelle ist er so was wie die Nadel im Heuhaufen. Man sieht ihn kaum. Vielleicht mal an einer Auktion. Vielleicht mal in Pebble Beach, USA. Genauso einer fährt in Arosa seit 2005, seit der ersten Arosa ClassicCar. Erst bewegte Vater Tom Becvarik den Ferrari, seit einigen Jahren fährt Sohn Roman die 76 Kurven von Langwies nach Arosa. Der Ferrari 250 GT Drogo ist ein besonderes Modell mit einer ebenso besonderen Geschichte. 250 PS, 12 Zylinder, 3.8 Liter Hubraum – Werte, wie von einem anderen Planeten für ein Auto von 1960. Für damalige Verhältnisse hatte der Drogo so viel Power unter der Haube, die andere Hersteller erst viel später erreichten. Doch was den Ferrari 250 GT Drogo so richtig besonders macht, sind seine Formen. Und, dass eben genau diese Formen von jemanden ausserhalb der Ferrari-Familie designed wurde: von Ex-Rennfahrer Piero Drogo.
In der Liste bekannter Karosseriebauunternehmen erscheint Pininfarina ganz weit oben. Aus ihrer Schmiede stammen Klassiker wie der Dino (1969) oder der Enzo Ferrari (2002). Doch gab es einen, der schon früher an die Ferraris ran durfte: Piero Drogo, italienischer Rennfahrer und Karosseriebauer. In seinem einzigen Formel-1-Rennen Im Jahre 1960 wurde er in Monza Achter. Deutlich mehr Aufmerksamkeit erlangte Drogo in seiner zweiten Karriere – jener als Karosseriebauer. Auf Basis des legendären Ferrari 250 GTO kreierte Piero Drogo seine eigene Interpretation. Die Nase wurde etwas länger und tiefer, das Heck dafür etwas höher. Den Motorblock versetzten die Mechaniker um rund 20 Zentimeter nach hinten, um so eine bessere Balance zu erzielen.
Sommer 2023, irgendwo auf einer Landstrasse ausserhalb von Winterthur. Im Drogo kommen alle Sinne auf ihre Kosten: das viel zu grosse Holzlenkrad, die wunderschöne Bearbeitung des Interieurs, das Klicken des 5-Gang-Getriebes. Ein paar Mal an den silberfarbenen Fensterhebeln gedreht, geniesst man die laue Sommerluft und hört den Motor noch etwas lauter rumoren. Roman Becvarik drückt aufs Gas. Jetzt, bei 4’500 Touren entfalten die 12 Zylinder ihr volles Potential – kräftig schieben sie den Ferrari vorwärts, fast brachial. Und genau dafür wurden diese Zylinder ursprünglich konzipiert: für die Rennstrecke, um Leistung zu bringen. Das tun sie zuverlässig seit gut 63 Jahren. Die Sitze im Drogo sind fest verbaut, Gas- und Bremspedal liegen leicht versetzt, weil die Spritzwand in den Weg kommt, welche durch das verschieben des Motors ebenfalls näher zum Fahrer rückt. Das Auto ist in seiner Art unvergleichbar, so wie wohl jeder Drogo ein Einzelstück. «Es gibt nichts Schöneres als mit diesem Auto zu fahren. Es ist mit spezieller Liebe gebaut, mit viel Individualismus – aber vor allem besticht es durch die Technik, die Enzo Ferrari damals erfand. Er wollte Rennen fahren, Rennautos bauen», erzählt Roman Becvarik.
Der Drogo ist schon eine ganze Zeit lang im Besitze der Becvariks. Es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick damals für Tom Becvarik. In den 80er Jahren zu Besuch in Modena in Italien sah er das Auto, in der Werkstatt von Carrozzeria Allegretti, zum ersten Mal. Die Mechaniker waren eben im Begriff aus dem Drogo wieder einen regulären 250 GTO zu machen – weil dieser halt berühmter, wertvoller sei. Tom Becvarik sah dies anders. Eine Drogo-Interpretation soll doch so bleiben, wie sie ist. Die Faszination dieses ergonomisch geformten Rennwagens, der mit dem Ziel gebaut wurde, agiler zu sein als ein 250 GTO, liess ihn nicht mehr los. Und so kam auch Tom Becvarik sieben Jahre später zu seinem ganz eigenen Drogo, aufgebaut auf dem Chassis eines Ferrari 250 GT Pininfarina Coupé. Die Karosserie, komplett aus Aluminium, wurde von Hand aufgebaut, so wie sie Piero Drogo damals haben wollte – unter der Regie von Signore Allegretti, einem ehemaligen Mitarbeitenden des Schöpfers. Und so macht der Rennwagen, ein Unikat, nun seit vielen Jahrzehnten und mittlerweile fast 30’000 Kilometern in den silbernen Speichen noch immer wahnsinnig viel Freude. «Nun bin ich der Behüter dieses Autos. Irgendeinmal hat dann hoffentlich auch mein Sohn Interesse daran und führt die Tradition weiter. Dieses Auto werde ich nie verkaufen, das kannst du nicht in Geld aufwiegen, die Seele meines Vaters lebt darin.»
Wer den 250 GT Drogo einmal erleben durfte, der kann wohl besser nachvollziehen, was den Mythos Ferrari ausmacht. Über die Landstrassen brausend ein Blick aufs Ferrari-Logo werfend – das schwarze ‹Cavallino Rampante› auf gelbem Hintergrund –, da wird dir so richtig bewusst, was du da gerade erleben darfst. Vorbei sind die Tage der mechanischen Autos, wo es mal klappert und scherbelt, wo die Türen hin und wieder den einen oder anderen Regentropfen hineinlassen, wo du die Tradition aus dem Auspuff schmeckst. Heute ist auch bei Ferrari alles digital, modern, anders. Doch eines bleibt: Die Faszination für die Marke ist ungebrochen – wo ein Ferrari vorfährt, da zücken die Jungs und Mädels die Smartphones, fotografieren und filmen fleissig.
Gibt es eigentlich den typischen Ferrari-Fahrer? «Ich bin vielleicht der untypischste 250 GT-Fahrer», lächelt Roman. Untypisch, weil sein Ferrari nicht blitzblank daherkommen muss, er darf etwas staubig sein, authentisch. Untypisch vielleicht auch, weil Roman den Ferrari nutzt, wie er gerade Lust und Laune hat – auch mal zum Kiosk damit, was kaufen gehen. Etwas ist aber auch bei Roman typisch und passt bestens zum Drogo von 1960: die Sonnenbrille. Enzo Ferrari war berühmt für seine dunkle Sonnenbrille, sein Markenzeichen. Sonnenbrillen haben es auch Roman angetan. Mitten in Zürich unterhalb des Grossmünsters vertreibt er Vintage-Sonnenbrillen, aus den 1950ern bis 1990ern. «Die Detailliebe ist vergleichbar mit den Autos», erzählt er, «New old stock, aus der damaligen Zeit – etwas Schönes. Und preislich zahlbar. Einzigartig, schön, mit toller Qualität.» Unter ‹FÖCK.COM› vertreibt Roman aber nicht nur Sonnenbrillen. Vielmehr steht es für eine ganz bestimmte Lebenseinstellung. «Sei anders, folge nicht dem Trend – das ist mein Credo. Wir treten bewusst etwas provokativ mit unserer Botschaft auf. Wir wollen die Jungen erreichen. Heutzutage mit Social Media wird uns tagtäglich suggeriert, welche Rolle wir einnehmen sollen, um akzeptiert zu werden. Das ist gefährlich. ‹FÖCK.IT› will dagegenhalten und dir sagen: Individualität ist gut. Sei, wie du bist. Denn dich gibt es nur einmal. Die Idee ist es, Menschen zu unterstützen, die vielleicht etwas weniger Glück im Leben hatten.» Hauptberuflich ist Roman in einem Grosshandelsbetrieb für Mercerie engagiert, leitet das Unternehmen in der 5. Generation.
18 Jahre ist es her, seit er mit seinem Vater Tom erstmals die engen Kurven hoch über Chur in Angriff nahm. Längst hat auch Roman die Aroser Familie in sein Herzen geschlossen: «Es gibt keinen vergleichbaren Event, bei dem du so zum Fahren kommst. Ich finde es unglaublich bewundernswert und faszinierend, wie viel Engagement von allen mit drinsteckt. So viele Leute, die das erfordert – nur schon die Streckenposten. Dann das ganze OK, das seit März den Event plant. Was da an menschlichem Engagement gemacht wird, hat höchste Wertschätzung verdient.» Wie besonders Arosa für Roman ist, zeigt sich schon daran, dass er bei gar keinen anderen Veranstaltungen startet. «Ich habe mein Arosa ClassicCar, mehr brauche ich nicht. Und sonst unternehmen wir Trips durch Italien im Sinne der Freundschaft und unserer Liebe zu Oldtimern. Aber wenn es um solche Renn-Events geht, da gibt’s nur Arosa für mich. Ich freue mich jetzt Mitte Juni wie ein kleines Kind, dass ich wieder dabei sein darf. Die Vorfreude steigt ins Unermessliche – das ist für mich schöner als Weihnachten.»