Eine Legende in Silber
Wenn Iris Kramer in ihrem silberfarbenen MGA Racing durch die Aroser Bergwelt fährt, finden sich Fahrer und Fans an der Arosa ClassicCar im Jahre 1956 wieder. Zur Zeit der Petticoat-Unterröcke, Perlonhemden und dem Chanel-Kostüm erlebte nicht nur die Mode-Welt neue Eleganz und Weiblichkeit. Auch die Autoformen wurden runder und eleganter. Der MGA ist das Meisterwerk in der Geschichte des britischen Automobilherstellers MG – und bis heute der Inbegriff des (noch) bezahlbaren britischen Sportwagens.
65 Jahre nach dessen Einführung ist das Auto begehrt wie eh und je. Auch wenn vom Nachfolger MGB fünf Mal mehr Fahrzeuge produziert wurden – die Formen und Rundungen des MGA bleiben unerreicht attraktiv, sorgten für den endgültigen Durchbruch und visuellen Höhepunkt des britischen Automobilherstellers. «Der MGA gefällt jung wie alt. Und wenn dann noch eine Frau fährt, dann kommt das besonders gut an. Vor allem die weiblichen Fans haben Freude, auch mal eine Frau am Steuer eines Sportwagens zu sehen», erzählt Iris Kramer. Frauen und der MGA – das ist nichts Aussergewöhnliches. Im Gegenteil. Noch kein Jahr in Produktion, sorgte das schnittige Coupe 1956 international für Schlagzeilen. Nancy Mitchell war damals die schnellste Frau an der Alpine Rallye und ebenso an der Mille Miglia. An der einst härtesten Rallye der Welt – Lüttich-Rom-Lüttich –, wo die Autohelden von damals nonstop 3‘500 Kilometer durch Europa abspulten, war der MGA bester britischer Sportwagen unter allen Teilnehmenden. Im Jahr darauf (1957) gewann am selben Event zum ersten Mal ein britisches Team den ‹Coupe des Dames› – auf einem MGA.
Bereits 1923 gründete William Morris zusammen mit Cecil Kimber in Oxford das Unternehmen MG, kurz für ‹Morris Garages›. Die Geschichte des MGA beginnt in den frühen 1950ern. Für George Philips, britischer Motorfanatiker, stellte MG 1951 auf dessen Anfrage hin den TD her. Der Wunsch nach einer stromlinienförmigen Karossiere, um damit in Le Mans starten zu können, legte den Grundstein für den späteren MGA. Vier Jahre später (1955) trat MG mit drei Prototypen in Le Mans an. Im Jahr darauf war der MGA serienreif. Für knapp 1000 Pfund gabs den Sportwagen damals in England zu kaufen. Der Twin Cam kam kurze Zeit später auf den Markt – ein leistungsstärkeres Modell mit zwei obenliegenden Nockenwellen. Iris Kramers MGA stammt aus den USA – wie so viele andere ebenso. Der MGA war ein riesiger Erfolg, weit über die britischen Landesgrenzen hinaus. Die wenigsten der über 100‘000 produzierten Autos blieben in England. Die überwiegende Mehrheit wurde nach Nordamerika exportiert.
Seit 2007 fährt Iris Kramer an diversen Oldtimer-Events. Die ClassicCar gehört da längst mit dazu. In früheren Jahren fuhr sie auch einen Porsche 356 und einen Buick aus den 1930er-Jahren, unter anderem am letzten Klausenrennen im Jahr 2013. Seit einigen Jahren ist sie nur noch in ihrem Liebling, dem silbernen MGA, unterwegs. Ihr Brite sieht anders aus als der ‹gewöhnliche› Serienwagen. Er ist komplett offen, stromlinienförmig und sieht schon schnell aus, steht er nur auf dem Parkplatz. In den 1950ern waren speziell für die Rennstrecke gebaute Autos die Ausnahme. Oft wurden Serienfahrzeuge mit einem Ziel modifiziert: leicht und schnell zu sein. So wurden alle möglichen aerodynamischen Hindernisse und unnötiges Gewicht entfernt – dazu gehörten Frontscheibe, Stossstangen, Beifahrersitz. «Er gefällt mir nicht nur optisch, er fährt sich auch richtig gut für ein Auto mit Jahrgang 1956», sagt Iris Kramer. 90 PS bei 890 Kilogramm sorgen für jede Menge Kurvenspass in Arosa. «Ich fahre wahnsinnig gerne Bergrennen. Schnell den Berg hinauf und um die Kurven – das ist spannend. Da kannst du dann auch mal richtig Gas geben. Und erst recht in Arosa. Die Strecke ist abwechslungsreich: Geraden, Winkel, Ränke – hundert Prozent hast du den Dreh hier nie raus. Es bleibt immer eine Herausforderung, die Ideallinie zu erwischen. Ab Litzirüti drücke ich das Gaspedal eigentlich permanent auf den Boden und ich schaue, was das Auto hergibt.»
Um für die Arosa ClassicCar bestens vorbereitet zu sein, war der MG von Iris Kramer wie üblich in der Garage Meister in der Lenzerheide im Service. Dort kümmert sich Hans Orsatti seit vielen Jahren fürsorglich um den Engländer. Mit seinem Team restauriert, lackiert und repariert er leidenschaftlich gerne Oldtimer. Nebenbei fährt er selbst an Oldtimer-Veranstaltungen, ist OK-Präsident der Partnerveranstaltung Lenzerheide Motor Classics und startet dieses Jahr mit der selbst restaurierten Lancia Fulvia Zagato an der ClassicCar. Dieses Jahr durfte der MG auch bei Ruedi Stoop in Wangen am Zürichsee einen Zwischenhalt auf dem Prüfstand einlegen, bevor er sich zum Vorführtermin beim Strassenverkehrsamt zeigen musste. Ruedi sitzt in Arosa selbst am Steuer eines Oldtimers, einem Shelby Ford Mustang GT350. Als Automechaniker hat er sich einen Namen gemacht und kümmert sich mit seiner eigenen Garage liebevoll um die Schätze seiner Kundschaft. Mit viel Wissen, das längst aus den Bedienungsanleitungen dieser Welt verschwunden ist. Seine ersten Fahrversuche zu Beginn seiner Lehre machte Ruedi Stoop am Steuer eines bordeauxroten MGA Coupe. Ein Auto, das er noch immer besitzt und ihm am Herzen liegt.
«Ich habe mich sehr auf den MGA von Iris gefreut, denn ich wollte für mich eigentlich immer einen solchen Roadster haben, hatte damals aber leider das Geld nicht dazu und musste notgedrungen auf das damals etwas weniger beliebte und somit preisgünstigere Coupé ausweichen. Der Roadster von Iris ist in einem sehr guten und sehr gepflegten Zustand. Von der Seite aus betrachtet sieht er aus wie das Profil eines Flugzeugflügels. Mir persönlich gefällt dieses Design sehr und wenn dann Iris noch mit Helm, ihren roten Haaren wild wehend daher gebraust kommt, ist das schon eine Augenweide», erzählt Ruedi Stoop. Zu Zeiten als britische Rock-Bands wie die Beatles, Cream oder Led Zeppelin den Takt vorgaben und weltweit Hitlisten dominierten, bekam man Supersportwagen in Zürich eher selten zu sehen. Doch Rockmusik war zu dieser Zeit nicht der einzige Hit der Briten. Der MGA war ein weiterer. Ruedi Stoop erinnert sich: «Die Marke MG hatte in meiner frühen Jugend schon immer einen grossen Stellenwert. MG’s waren in der Zeit extrem sportlich und hoben sich von der Masse der damaligen Alltagsautos ab. In der Region Zürich gab es einige davon. Diese liessen mein Herz immer wieder höher schlagen. So war der MGA auf meiner Lieblings-Auto-Skala schon ganz schön weit oben, zumal halt eben auch bezahlbar.» 40 Jahre später trifft das noch immer zu. Zu Zeiten, wo man für einen Jaguar-E-Type oder Austin-Healey 3000 mehr denn je bezahlt, ist der MGA beinahe so was wie der «reasonably priced car» unter den Briten. Ein grosser Vorteil des MGA ist weiter, dass man nach wie vor Ersatzteile kriegt. «Die Chancen stehen gut, dass man was selber reparieren kann und das erst noch in nützlicher Frist. Und ist auch nicht so massiv teuer», sagt Kramer.
Ihre Begeisterung für den Rennsport fand Iris Kramer einst über die Motorräder – Kawasaki, Norton, Harley-Davidson. Bis vor kurzem noch fuhr sie die mächtige V-Rod der amerikanischen Traditionsmarke aus Milwaukee in Wisconsin. 1200ccm Harley-Power bei 360 Kilogramm Leergewicht sprechen für sich. Irgendwann wurde so viel Power dann aber eben doch zu umständlich. Mal schnell mit dem Töff in die Migros oder den Coop, das ging «nur in kompletter Töff-Montur.» Mittlerweile hat Iris eine 180-Grad-Wende gemacht. Anstelle der Harley stehen zwei knallig blaue Oldschool-Vespas in Garage und Stube. Mal schnell ins Strandbad liegt jetzt auch in der kurzen Hose drin. Beim Thema Vespa kommen Kindheitserinnerungen hoch. «Mein Vater war Maschineningenieur. Er hat sich für Autos und Motoren interessiert.» Diese Faszination schwappte schnell auf Iris rüber. Auf einem Garelli-Töffli machte sie ihre ersten motorisierten Ausflüge, weil ihr Vater Fan der Marke war. «Dabei sehnte ich mich nach einem Ciao, wie meine Freundin eins hatte. Ciao oder Puch – das fuhr man dazumal. Aber Garelli?», lächelt Iris Kramer. Je älter sie wurde, je grösser wurden die Motoren. Auf das Garelli folgte eine Yamaha 125ccm, dann eine 850ccm Kawasaki und schliesslich die Harley-Davidson. Und schliesslich eine ebenso grosse Faszination für die Vierräder, die bis heute hält.
«Autoträume? Natürlich hätte ich gerne eine ganz grosse Garage voller toller Autos», lacht Iris Kramer, «da gäbe es noch einiges, das mir gefällt: Lotus Elan, Jaguar E-Type. Oder all die alten tollen Alfa Romeo. Über die ganze Automobilgeschichte hinweg machten die schlicht die schönsten Autos. Es ist immer wieder wunderbar, solche Autos anzusehen.» Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte sorgte dafür, dass viele Oldtimer mittlerweile lediglich einem exklusiven Kreis von Liebhabern zugänglich sind. Iris Kramer liegt viel daran, dass «die Zeitzeugen nicht von unseren Strassen verschwinden. Egal ob Topolino oder MG – die Leute haben immer Freude an alten Autos. Es wäre schade, wenn solche Autos künftig nur noch im Museum zu bestaunen sind. Aber die Frage stellt sich halt, ob die jungen Menschen so viel Geld für einen Oldtimer bezahlen, wenn sie für denselben Preis ein modernes neues Auto kaufen könnten?» Dank Autos wie dem MGA und vor allem seinem Nachfolger, dem MGB, dürfen auch jüngere Generationen weiter vom eigenen Oldtimer träumen.
65 Jahre nach seiner Erstfahrt fährt Iris Kramers MGA Racing noch immer über die Strassen dieser Welt. Ist bereit für Arosa. Bereit für 76 Kurven. Bereit für sein nächstes Abenteuer. Unter den über 170 startenden Rennwagen gehört er nicht zu den schnellsten, ist bei weitem kein Silberpfeil. Muss er aber auch nicht sein. Denn in einem MGA zu fahren, bringt auch so einen hohen Spassfaktor mit sich. Ruedi Stoop: «Man hat bereits bei 80 Stundenkilometern das Gefühl, man sei mit 160 Sachen unterwegs. Und dies zieht einem die beiden Mundwinkel hoch bis zu den Ohren.» Iris startet 2021 an der Arosa ClassicCar in der Kategorie Gleichmässigkeit – vier Mal geht’s von Langwies nach Arosa. Die beiden Fahrten mit der geringsten Zeitdifferenz werden gewertet. Ihr Ziel muss also sein, so präzise und strategisch wie möglich zu fahren. Oder? «Ich habe zwar eine Uhr, aber ich schaue eigentlich nie gross drauf. Ich ‹fräse› einfach den Berg rauf – und dann sehen wir, was dabei rauskommt», freut sich Iris Kramer, das Gaspedal der britischen Legende ein weiteres Mal so richtig durchzudrücken.