Der Franz Carl Weber für die Grossen
Unscheinbar befindet sich die Classic Garage Wangen mitten in einem Industriegebiet, umgeben von kleinen Hügeln, Wiesen und tollem Blick in die Alpen. Ein alter Sportwagen auf dem Parkplatz lässt erahnen, was sich hinter dem grossen Werkstatttor befindet. Wir treten ein.
Links neben dem Eingang werkelt Patrick an einem mattschwarzen Hot Rod aus den 1930er-Jahren. Das Chassis erhält eine Generalüberholung. Aus Kunststoff wird Blech. Schweissarbeit. Handarbeit. Gleich daneben arbeitet Marco an einem ebenso schwarzen glänzenden Chevrolet aus den 1950er-Jahren. Eine alte Staatskarosse, einst fürs Militär unterwegs. Der Blick schweift über den blitzblanken beigen Boden weiter ins Innere der Werkstatt. Da steht ein seltener Jaguar E-Type Lightweight Low Drag, dahinter ein noch seltenerer silbriger Mercedes 300 SL, das erste und wohl bekannteste Auto mit Flügeltüren. Der Blick wandert weiter. AC Cobra, Chevrolet Corvette C2, Porsche 356. Alle in perfektem Zustand. Und alle stehen sie bereit. Bereit für die nächste Spritztour. Bereit für das nächste Lächeln ihrer Fahrer.
«Wir sind der Franz Carl Weber für die Grossen», lächelt Ruedi Stoop. Über 40 Jahre geht der Automechaniker mittlerweile seiner Leidenschaft nach. Jahrelang war er bei der Ruckstuhl Gruppe in Adliswil tätig. Im August 2019 verwirklichte er sich seinen eigenen Garagentraum hier in Wangen im Kanton Schwyz. Die meisten Kunden nahm er mit. Viele neue kamen hinzu. «Hier sind wir unabhängig, niemand redet uns drein», sagt Ruedi. «Wir», das sind Ruedi Stoop, Patrick Wäspe und Marco Masiero. Das Trio kümmert sich liebevoll um die vielen verschiedenen Autos ihrer Kunden. Mit Wissen, das längst aus den Bedienungsanleitungen dieser Welt verschwunden ist, oftmals nur noch in den Köpfen der Mechaniker sitzt, können die drei alles aus einer Hand abdecken. «Wir leben hier unseren Traum», ist Stoop stolz. Ein Traum, der gut und gerne mal sieben Tage die Woche dauert. Unter der Woche wird gewerkelt. Am Wochenende wartet die Büroarbeit.
Sein erstes Auto erhielt Ruedi Stoop zu Beginn seiner Lehre, ein MGA Coupe, in Bordeauxrot. Er hat es noch immer. «Mein Vater war ein totaler Autofan, hatte mal bei Saurer in Arbon gearbeitet. So war ich stets von Autos umgeben», erzählt Ruedi. «Eigentlich wollten wir einen MGB kaufen. So fuhren wir eines Tages an den Vierwaldstättersee, um das Auto zu besichtigen. Als wir ankamen, erfuhren wir, dass der tolle Wagen eben verkauft wurde.» Die erste Enttäuschung hinter sich gelassen, findet Ruedi Stoop damals hinter einer alten Scheune einen weiteren MG, Typ A. «Diese schönen runden Formen: Der MG hat mir auf Anhieb gefallen. Ein Mechaniker-Kollege, ein Engländer, brachte mir während der Lehre vieles bei. Wie ein Schwamm habe ich dieses Wissen aufgesogen. Und dann umgesetzt und den Wagen restauriert. So kam es, dass ich meine ersten Fahrstunden in genau diesem MG erlebte. Zu sehen, wie so ein Auto Stück für Stück zu funktionieren beginnt, ist schon toll.»
Ruedi liegt viel daran, dass dieses einst erworbene Wissen erhalten bleibt. «Mechaniker Marco ist ein sehr guter Mensch mit viel Fachwissen. Mit Patrick arbeite ich schon über 25 Jahre zusammen. Wenn jemand einem Kunden seine Wünsche vom Gesicht ablesen kann, ist das eine wundervolle Gabe. Ich bin sehr dankbar, dass wir ein funktionierendes Trio sind. Patrick, Marco und ich, das sind drei Mechaniker-Generationen.» Die drei sind ein gutes Beispiel, wie sich das Interesse für Oldtimer von Generation zu Generation verändern kann. Ein Klassiker, wie der Maserati 8C ist für Ruedi Stoop so was wie der heilige Gral unter den Autos. Für einen Mechaniker-Lehrling im Jahre 2020 eher weniger. «Mit den Generationen verändert sich auch das Publikum. Die alten schwerfälligen Autos verlieren etwas an Reiz. Zwischengas, Zwischenkuppeln; das ist anspruchsvoll, damit musst du dich auskennen. Daran haben die Jungen schlicht keinen Spass mehr, es ist «uncool». Cooler ist da bspw. ein BMW M3, denn auch damit kannst du den Berg hochfahren.» Ein solcher steht gleich hinter dem grossen Werkstatt-Tor auf dem Leistungsprüfstand. Es ist die zweitürige Erstausgabe, die ab 1986 produziert wurde. Die Farben sind typisch für einen M: weiss, blau, rot. Das Ergebnis auf dem Prüfstand ebenso: mächtige 274 PS bei 7’080 Umdrehungen und dies mit Strassenauspuffanlage.
Wenige Meter neben dem BMW befindet sich der Eingang zur hauseigenen Kantine – dem Diner. Wir treten durch die Tür, staunen, nehmen Platz. Die 1950er-Jahre grüssen. Im Eingangsbereich stehen zwei Flipperkästchen, ein roter Coca- Cola-Getränkeautomat – alt, mechanisch, original und eine ebenso alte und ebenso originale Musikbox, die nur darauf wartet, Klassiker von Hank Williams, Little Richard oder Jerry Lee Lewis zum Besten zu geben. Der Boden ist schwarz-weiss im Schachbrett-Look. Die Barhocker leuchten in Vintage-Rot. Die Wände zieren Emailleschilder von Coca-Cola, Sinalco, Butter-Nut Bread – und mehr: hier ein Surfbrett, da ein paar Rollschuhe, dort da das letzte Abendmahl, nicht mit Jesus in der Hauptrolle, dafür mit Marilyn Monroe. «Die 1950er-Jahre sind die Zeit des Wirtschaftsbooms. Das ganze Chrom und der Glanz passen wunderbar für eine automobilverbundene Atmosphäre», erzählt Ruedi. Hier zu Mittag zu essen, das muss sich echt gut anfühlen. Das Diner ist die grosse Leidenschaft seiner Frau Susanna Weinem. Es bietet Platz für die ganze Familie, inklusive 4 Töchtern mitsamt Anhang. Und so kommen Ruedi und Co. hin und wieder auch am Abend in den Genuss dieser einmaligen Atmosphäre.
Zurück in der Garage. Wir schlängeln uns an einem roten Jaguar XK120 Cabrio und einem ebenso roten Chevrolet Bel Air Coupé von 1957 vorbei. Da steht er, ganz hinten in der Garage, der weisse Shelby Mustang GT 350 aus den 1960er- Jahren, mit den blauen Streifen. Damit fährt Stoop dieses Jahr in Arosa. «Du musst den Leuten was bieten. Wenn du die Möglichkeit hast, ein gutes Auto an den Start zu bringen, dann solltest du das tun. Das ist in meinen Augen ganz wichtig», sagt er. Der Shelby ist ein solches Auto. Hubraum: 4.7 Liter, PS: 335, Sound: V8-Orchester. Fahrspass: unendlich gross.
Wenn Ruedi mit ihm die 76 Kurven nach Arosa hinaufbraust, dann sind im zwei Dinge wichtig: «Spass haben. Und Veranstaltungen wie diese unterstützen. Was all die Fahrerinnen und Fahrer hier tun, ist Pflege von Kulturgütern. Deshalb engagiere ich mich gerne in der Szene. Denn ohne Veranstaltungen wie die Arosa ClassicCar, würde unser Hobby in Vergessenheit geraten.» Wenn man in einem solch spektakulären Auto sitzt, kommt man da hin und wieder in Versuchung, das Gaspedal ein bisschen härter zu treten als man sollte? «Bei uns wird keiner mehr Formel-1-Weltmeister», lacht Ruedi, «vielleicht kriegen wir mal ein Küsschen von einer Frau, die du nicht kennst oder eine Flasche Champagner. Aber das ist dann auch schon alles.»
Ruedi Stoop kennt Arosa bestens. Sicher 14 von 16 Mal war er am Start, mit ganz verschiedenen Autos. Einmal fuhr er im Rally-Auto von Hannu Mikkola, dem legendären Hundeknochen-Ford. «Dieses Auto ist ganz bestimmt nicht für den Berg gemacht. Es ist hoch und hat schmale Reifen. Da es während der Veranstaltung immer stärker regnete, konnte ich am Limit durch die Kurven sliden. Das hat richtig Spass gemacht. Im Regen setze ich das breite Grinsen auf. Nur für die Zuschauer ist es dann weniger angenehm.» Und für die Streckenposten. «Vor denen habe ich den grössten Respekt. Die sitzen drei Tage lang im Regen irgendwo an der Strecke. Für mich sind sie die wahren Helden dieses Events.»
«Arosa kann süchtig machen» lautet einer der Slogans der Feriendestination. Bei einem hat das bereits Wirkung gezeigt. Der graue Jaguar E-Type Lightweight Low Drag, der in der Classic Garage steht, hat der Käufer nur wegen der Arosa ClassicCar gekauft. «Wegen Arosa kaufen die Leute Autos», sagt Ruedi Stoop, «Der Jaguar-Fahrer war einst als Zuschauer da und sagte mir: ‹So etwas würde ich auch gerne mal erleben wollen. Mit dem Rennoverall hier zu stehen und dann da hinauf zu fahren. Nun machen wir den Jaguar Arosa-tauglich.»
Marco arbeitet mittlerweile an einer HS Cobra Replica, welche in Gerlafingen in der Schweiz hergestellt wurde. Neue dicke silberne Auspuffohre müssen dran. Patrick kümmert sich weiter um den Hot Rod. Patrick Wäspe und Ruedi Stoop, das ist eine mittlerweile 25-jährige Erfolgsgeschichte. «Ich habe immer unter Ruedi gearbeitet. Seine Art ist es, die ich so schätze. Er ist sich für nichts zu schade. Da kann er heute an einem 1.5 Mio Franken teuren Rolls-Royce arbeiten, morgen mit demselben Elan und derselben Freude einen 7‘000 Franken teuren Fiat auf Vordermann bringen. Für seine Frau ist das Diner das Grösste, für ihn die Garage.»
Hat einer, der seit über 40 Jahren im Geschäft ist und so vieles erlebt hat, noch Träume? «Jeder Tag ist ein Highlight. Ich werde oft gefragt, welches das beste Auto ist, das ich je gefahren bin. Ich weiss es nicht. Freude hats nichts mit dem Wagenwert oder Prestige zu tun. Freude hat damit zu tun, was dir ein Auto vermittelt. Wie fühlt es sich an? Vibriert, knattert, raucht es? Es sind jene Autos, die dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern», erzählt Ruedi. «Es gibt Autos mit ganz schlechtem Fahrwerk – die Engländer sind darin Weltmeister. Ein alter Morgan ist so ein Auto. Obwohl das Fahrwerk ganz schwabbelig ist, ist der Fahrspass bei diesem Auto riesig, weil es dich schon bei geringem Tempo fordert. Solche Autos faszinieren mich. Da musst du nicht schnell unterwegs sein, um Spass zu haben. Ein aktuelles Beispiel: Kürzlich fuhr ich mit einem 16-Zylinder Cadillac zu einem Garagisten-Kollegen und mit einer AC Cobra wieder zurück. Wie geil ist das denn? Noch ein Beispiel: der gute alte Käfer. Der Tankstutzen befindet sich bei diesem Auto im Kofferraum. Dort, wo du das Gepäck lagerst. Da musst du zwischen all den Kleidern und sonstigem Gepäck den Tankrüssel reinstecken. Da kannst du sicher sein, dass ältere Leute voller Erinnerungen schwelgen, wenn sie so eine Szene beobachten. Genau deshalb holt dich ein Auto wie der Käfer ab: Das Tankerlebnis, die lustigen Kotflügel, die Trittbretter – der ist alles andere als schnell, aber cool.»
Mittlerweile scheint die späte Nachmittagssonne durch das grosse Werkstatttor, der weisse BMW leuchtet noch weisser als sonst. Der Shelby Mustang hingegen steht unauffällig im schattigen hinteren Teil der Garage. Noch steht er da. Vom 3. bis 6. September ist er einer der grossen Stars an der 16. Arosa ClassicCar. Und wird da unüberhörbar sein. Wer den unvergleichlich röchelnden Mustang-Sound bequem vom Sofa aus erleben möchte, der schaut am besten Nicolas Cage im Film «Gone in 60 Seconds» über die Schulter. Bei aller Erfahrung und allem Können – 60 Sekunden werden auch für einen wie Ruedi Stoop von Langwies nach Arosa nicht reichen. Glücklicherweise. So kommen die Fans länger in den Genuss dieses einmaligen Fahrzeugs.