76 Kurven voller Elan
Erstaunlich, was 4 Zylinder für einen Sound komponieren können. Es röhrt, es grollt, es faucht aus dem Heck des kleinen Flitzers. Seine runden Formen und dunkelgrüne Farbe machen unmissverständlich klar: Hier ist ein Engländer am Werk. Einer, der seit 1966 die Rennstrecken dieser Welt erkundet. Und auch Arosa bestens kennt. 170PS klingt auf den ersten Blick nach wenig. Doch weit gefehlt. Bei rund 600 Kilogramm Gewicht entfalten sie im Lotus genügend Power, um die 76 Kurven von Langwies nach Arosa voller Elan zu meistern.
«Es ist einfach cool mit diesem Rennauto zu fahren. Du hast das Gefühl, du fährst auf Schienen», erzählt Martina Fischer-Garovi. Wie bei Heckantrieblern so üblich, «ist das Feingefühl wichtig. Wenn er kommt, dann kommt er. Wenns zu spät ist, dann ists wirklich zu spät.» Längst hat sie den Dreh raus, kennt ihr Auto in- und auswendig. Auch, was das Kurvenfahren anbelangt. Vom Sprichwort «Wer bremst, der verliert», hält sie gar nichts. «Du musst zum richtigen Zeitpunkt bremsen.» Ihr Vater gab ihr schon früh den Tipp für eine schnelle Zeit: «In die Kurve fährst du wie ein Lämmli, hinaus aber wie ein Ochse.»
Arosa und der Lotus Elan, das ist eine besondere Geschichte. Vater Mario Garovi bewegte den britischen Sportwagen mit Jahrgang 1966 viele Jahre lang erfolgreich: fuhr Slalom, Rundstrecken, Bergrennen. «Den Lotus mit dem Schweizer Kreuz kennt man in der Szene», ist Tochter Martina Fischer-Garovi stolz. Zwischenzeitlich verliess das Auto die Familie, hatte einen anderen Besitzer. Doch was man gerne hat, das will man doch eigentlich behalten. «Also kaufte mein Vater das Auto später wieder zurück. Die zwischenzeitliche eisblaue Bemalung machte er schnell wieder rückgängig», erinnert sich Fischer-Garovi. 2016 verstarb Vater Mario. Im September 2017 setzte sich Martina erstmals ans Steuer des Lotus Elan. Und das in Arosa an der ClassicCar. Ein emotionaler Moment. «Als ich zum ersten Mal ins Fahrerlager zurück kam, da kamen meiner Mutter die Tränen.» Trauer und Freude auf einen Schlag: Trauer, weil der Vater nicht mehr hinter dem Steuer sitzt. Freude, dass die Tochter die Tradition aufrechterhält. Deshalb ist dieser Lotus «ein sehr emotionales Auto führ mich», erzählt Martina.
Auf der Strasse sieht man diesen Lotus selten. Die Version von Martina Fischer-Garovi hat denn auch gar keine Strassenzulassung. Zu viel müsste man da umbauen. Im Moment ist das kein Thema. Auf der Rennstrecke fühlt sich dieses Auto zu Hause. 2020 ist die 10. Rennsaison für Martina Fischer-Garovi. Normalerweise nimmt sie an diversen Rennen teil. Von der Abarth Trofeo Slalom, über Bergrennen wie die Eggberg Classic in Bad Säckingen oder der Klassiker in Reitnau bis zu Oldtimer-Rallyes. Die Arosa ClassicCar wird während dieses speziellen Jahres wohl das erste und letzte Rennen überhaupt sein.
Seit gut drei Jahren ist Martina Fischer-Garovi mittlerweile im Lotus Elan unterwegs. Kennt ihn. Weiss, was er kann, was er nicht kann. «Ich werde mit diesem Auto nie 100 oder 120% fahren, denn ich will es nicht an eine Wand fahren. Der Spassfaktor zählt, darum gehts mir. Wenn ich nicht die Schnellste bin, dann halt nicht. Riskieren will ich nichts.» Die Motivation für eine schnelle Zeit, die ist aber da: «2019 war ich bereits schnell unterwegs. Vielleicht kann ich dieses Jahr gar die 6-Minuten-Marke knacken. Das ist mein Ziel.»
Und dies auf der aussergewöhnlichen und einmaligen Bergstrecke. «Arosa kannst du mit nichts vergleichen», so Fischer-Garovi, «alleine aufgrund der Länge der Stecke ist es ein verrücktes Rennen. In Reitnau fährst du in einer Minute hoch. Aber in Arosa braucht auch ein Thomas Amweg seine 4 Minuten. Das Schwierige ist, dass du die Strecke in den Kopf reinbringst.». Bei 76 Kurven, die oft ähnlich sind, ist das leichter gesagt als getan. «Ich weiss, es ist eigentlich ein No-Go ohne Vorbereitung an ein Rennen zu gehen. Aber lerne mal 76 Kurven auswendig. Damals im Jahre 2017 kannte ich die Strecke überhaupt nicht. Sie überrascht dich zu Beginn. Hinter den Kurven ist etwas anderes, als du erwartest.»
Etwas Überwindung braucht es noch immer, doch mittlerweile weiss Fischer-Garovi, was sich hinter den vielen Kurven mit ihren teilweise mehrere Meter hohen Steinmauern verbirgt. «Es ist Freude pur, in Arosa zu fahren. Ich wäre gerne eine Aroserin. Dann würde ich da öfters hochfahren und diese wunderschöne Strecke richtig kennen und geniessen.»
Von den 170 Teilnehmenden der Arosa ClassicCar sind nur deren zehn Frauen. «Ich werde oft gefragt: ‹Trittst du gegen Männer an?›. Ja, sonst würde ich allein fahren», nimmts Fischer-Garovi mit Humor. Als Architektin hat sie auf der Baustelle meist nur Männer um sich herum. Auf der Rennstrecke ist das nicht anders. Damit hat sie sich längst abgefunden. «Ich habe einen Männerberuf und ein Männerhobby und keine Probleme damit.» Nur etwas, das bereitet ihr hin und wieder mal Kopfschütteln nach den Rennen: der Preis für die schnellste Dame. Damit kann sie nicht wirklich etwas anfangen. «Auf der Rennstrecke fährt jeder gegen jeden. Und eine oder einer ist der Schnellste. Und diese Person sollte den Preis erhalten, egal welches Geschlecht sie hat.»